Der Präpsaal ist kein Cluburlaub

„Ich hab Hände sogar zwei,
und auch Haare mehr als drei,
ich hab einen runden Bauch,
und ne Nase hab ich auch,
ich hab links und rechts ein Bein,
und ein Herz, doch nicht aus Stein,
und jetzt winke ich dir zu,
hallo du, du, du.“

– Lolas erste Begegnung mit der Anatomie damals im Aldiana Dolphins-Club

Knapp 12 Jahre später, die Spuren der ins Gesicht geschminkten Glitzerdelfine längst vergangen, stehe ich ihr nun wieder gegenüber.
Während der ersten Unterrichtseinheit im Präparierkurs wird dabei eines schnell klar: die Ansprüche sind seit Herbst 2007 stark gestiegen.
Denn wie wir so um den Dozenten versammelt stehen, der uns die ersten Nerven abfragt, steht dem einen oder anderen die Erkenntnis ins Gesicht geschrieben:

War wohl doch kein Witz, dass man schon vor Semesterbeginn mit dem Lernen anfangen sollte.

Eine Abwägung, die einem zwischen Studiumsanwärtern, die chirurgische Nähte an Bananen üben und maßgeschneiderte Kittel anfertigen lassen, nicht immer leicht fällt.

Doch alles halb so wild: Nicht umsonst gibt es Anatomie-Tutorien, die als Unterpunkt einen 10-minütigen Lateinkurs beinhalten. (Gut, dass ich damals in der Schule nicht Latein gewählt habe, da hätte ich mich ja grün und blau geärgert. 5 vergeudete Jahre, wenns doch auch so einfach geht.)

Und ist ja auch nicht so als wär alles einfach irgendwie willkürlich benannt. Da hat sich damals schon jemand ordentlich Gedanken zu gemacht. Zugegeben, 1-2 Nasen bewusstseinserweiternde Substanzen weniger im Spiel bei der Namensgebung und (übersetzte) Bezeichnungen wie „rabenschnabelförmiger Fortsatz“ und „großer Rollhügel“  wären uns erspart geblieben. Aber das wär doch auch irgendwie schade.

„Na, an was erinnert Sie diese Gelenkpfanne? Genau. An ein Essigtöpfchen. Deswegen heißt sie auch Acetabulum.“

– Anatomiedozentin

Also die Skalpellklingen aufgesteckt, die Handschuhe übergestriffen und ran da!
Die ersten Schnitte, die wir ehrfürchtig an den Körperspenden setzen sind vor allem instruiert mit „Schneiden sie einfach so, wie sie es für richtig halten!“ und lassen uns endlich mal alle auf unser großes Vorwissen in Sachen Leichenpräparation zurückgreifen, das man als Normalbürger nunmal hat und mit dem ein oder anderen Jahrzehnt Lebenserfahrung schon mal zu erwarten ist.
– Verzweiflung macht sich im Raum breit, wo sie sich geschmeidig in den Formalin-Geruch einbettet, um dort die nächsten Wochen unser treuer Begleiter zu sein.

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Winnie das Skelett – alias „Lernmotivation, 1. Versuch“

Und dann heißt es aufpassen. Einmal aus der zugeteilten Rückenregion etwas zu tief in Richtung Süden abgerutscht und schon wird man mit den Worten „Ach schön, dass sich ein Freiwilliger für die Glutealregion gefunden hat“ vom Anatomieprofessor in seinem neuen Präparationsgebiet willkommen geheißen.

Es ist also mal wieder Mittwochmorgen. 8.15 Uhr, weder ausgeschlafen noch wohl gesättigt stehen wir um unser zweifelhaftes Meisterwerk verteilt.
Der eine oder andere mag sich die Nacht mit Anatomieatlanten um die Ohren geschlagen haben. Ich währenddessen nutze eben diese in erster Linie zum  maximalen Rückenverschleiß.
Manch einem mag drei Stunden die Woche gebuckelt überm Präppariertisch genügen. Mir nicht. Ich spice das Ganze gerne mit dem nutzlosen Herumtragen von massiven Brocken à la Gesamtwerk menschliche Anatomie up. The bottom is the limit! Und dem nähert sich mein Oberkörper auch ganz zuverlässig mit jedem Schritt an.

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Die Nerven liegen also blank, das Semesterende nähert sich mit einem bitteren Nebengeschmack von Prüfungsphase und Motivations- und Wissensstand teilen sich brüderlich einen Platz am unteren Ende der Skala. Ich persönlich halte mich konsequent an die altbewährte Taktik, meine Beschäftigung mit der Uni eben so hoch zu halten, dass es nicht genügt um irgendeinen Wissenszuwachs daraus zu generieren, aber sehr wohl, um sich der erschlagenden Dimension des zu Lernenden bewusst zu sein. Das Resultat: zuckersüße Panik mit einem Hauch Stress.

„Eigentlich müsste ich Sie nach Hause schicken, so wenig wie sie wissen.“

– motivational support vom Anatomieprofessor

Immer häufiger stehe ich inzwischen in meinem siffigen Kittel morgens im Saal und tagträume von 9-to-5-Jobs und Büroarbeit während ich wie in Trance, über die Tische katapultierten, Skalpellen ausweiche und versuche Millimeter-feine Nervenfasern zu identifizieren.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch hat die Panik irgendwann immer gereicht, um mich an den Schreibtisch zu verbannen. Vorzugsweise 2 Wochen vor der Prüfung, unter Dauertränen und Mate-Orgien. Mhhmmm… ich freue mich schon jetzt auf das nächtliche Aufschrecken aus einem lebhaften Albtraum über Adenosintriphosphatmoleküle.

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literarisches Meisterwerk mit dem Titel „Prüfungsphase 2. Semester“ (Nebenbei: Respekt für den Chatpartner L)

In dem Sinne: Drückt mir doch bitte die Daumen und bis dann!

 

 

 

 

 

 

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. tim sagt:

    wir haben schon damals geahnt dass du der sache auf den grund gehen wirst 🙂

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  2. Andrea Borchardt sagt:

    Haha…. Wahrscheinlich gar nicht so witzig wie es sich anhört
    Niemals!!!! Möchte ich an einer Leiche herum schnippeln😊

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  3. Oma Gina sagt:

    Es ist sehr schön, dass ich durch Deine Berichte viel über Dein Leben erfahre. Ich verstehe nicht immer alles, aber Du schreibst so kurzweilig und komisch, dass es einfach Spaß macht, sie zu lesen. Also weiter so!

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